Itinerarium
oder
Raisbüchlin, worin alle Raisen und vil denckwürdige Sachen von Kriegsläuffen, auch anderen Sachen mehr begriffen, einem Lesenden nit unangenemb die Zeit ein wenig darmit zu vertreiben;
beschrieben durch den
Relig. P. F. J. Conr. Burgern
Thennenbachischen Convent, und Confess. in Wonnenthal de Anno 1641 bis dato.
Misericordias Dni. In aeternum cantabo.
Vorredt
Dieweilen dis Büchlin den mehreren Theil mich selbsten angeht, der ich schreibe, ist zu wissen, daß mein Intention ganz und gar nit sey, mich selbsten in einem oder anderen zu rühmen, oder zu loben; sunder allin Gott zum Lob und Danck, der mich von Jugent auff bis nun mehr bald in das 62. Jhar durch vil wunderbarliche fortunas, auch wundbarlich allezeit ohn einigen Schaden Leib und Lebens gnädiglich behütet und hindurch geführt hat. Warumb sollt ich dann seine grosse Guthaten und Gnaden verschweigen, und in der Feder stecken lassen? Sein Lob, und nit mein Ruhm suche ich, als der ich Alles von Ihme unverdienter Weis von meiner Kindheit an empfangen hab.
Es ist aber hie zu merken, daß ich hierin nit Alles notieren will, was sich von Jugent auff mit mir verloffen, nemblich im weltlichen Standt, sunder will Etliches nur kurz perstringieren, damit hernach zu anderem Nachfolgendten ein besserer Fortgang könne gemacht werden.
So ist derohalben mein weltlich Leben ungefahr bey 15. Jhar lang gewesen; und sagt der weise Salomon nit unrecht; Militia est vita hominis super terram, des Menschen Leben ist ein Kriegsstreit auff Erden; und der heilige Apostel: Non habemus manentem civitatem, wir haben kein bleibendte Statt auff diser Welt, welches dann an mir redlich verificiert ist worden. Dann kaum hab ich mein Geburtsort in Freyburg im Breisgauw mit Augen angeschaut, bin ich viertel Jährig von meinen Elteren von dannen ins Suntgaw exportiert worden; und weil mein Vatter seelig (Petrus Burger) sich in Amptey und Schaffnerey Diensten bey underschiedlichen Herren hat gebrauchen lassen, ist er auch nie lang beständig in einem Ort verbliben, also wurd ich auch in meiner Kindtheit herumb ketscht, und stund etliche tödtliche Kranckheiten aus, und sunderlich eine, da ich halb Jhärig gewesen, und schon für todt zum Grab getragen, und unversehens das Leben widerumb verspürt worden.
Achthalb Jhärig kam ich gar von meinen Elteren hinweg, aus dem Elsaß ins Schwabenland, zu einem meinem Vetteren; welcher, dieweilen er mir gar zu rau war, gedacht ich seinen Streichen zu entfliehen; lieff zehnthalb Jhärig hinweg, kam in Thüringen, zog hindurch in die Underpfalz, in Würtenberg, und kamb ins Breysgaw, und fand zu Freyburg Bluetfrind (Anm. Blutsverwandte). Diese wollten mich widerumb zu meinem vorgemelten Vetteren zu gehen bereden, gaben mir Brieff und Gelt zur Zerung und versprachen mir, daß mir nichts Uebels werde geschehen. Ich ließ sie zwar an (Anm. Gemeint: Stellte mich an), als wolt ich Ihnen folgen, ging von Freyburg hinweg. Und weilen eben damalen die Margraffschafft Durlach voller Kaiserlichen Völkern gelegen, als welche kurz zuvor den Durlachern, nemblich a. 1622 vor Wimpfen auffs Haupt geschlagen und iezund in sein Land im Winterquartier gelegen; bin ich zu Sexau bei Hochburg zu einem Obersten – Wachtmeister kommen, welcher mich dann für ein Jungen angenommen. Diser Oberst – Wachtmeister war vom alt Schmidischen Regiment, und mit diesem Regiment zog ich im nechstfolgendten Früeling auff dem Rhin hinab, aus einem Land ins ander mit der ganzen Tillischen Armee, welcher drey Jhar nach einander vil herrliche Sig wider die Kaiserliche Feind erhalten; als Er (Tilli) nemblich a. 1623 den Halberstaddter (Anm. Herzog Christian von Braunschweig, der zum Administrator von Halberstadt ernannt worden. Das Richtige über diese Vorgänge s. bei Gfrörer, Gesch. Gustav Adolphs, 1. Aufl. S. 447 ff. ) demit nur fünff Tausend sein ganze Armee zertrent hat (welche 30.000 starck war), davon 5000 auff dem platz gebliben, und 6000 gefangen worden). Anno 1626 ist der König in Tennenmark (Anm. Dänemark) des Tilli Feind worden, und ist unschidlichmal geschlagen worden, worbey auch ich zwei malen gewesen, als nemblich zu Hannover und Neyenburg (Anm. Nienburg) in Braunschweig und Westphalen. Und weilen der König in Tennenmark vor Neyenburg ganz in die Flucht geschlagen und von den Kaiserlichen mit der ganzen Armee verfolgt wurde bis gegen Becht, kam ich vom Volk und blieb dahinden mit vil Anderen, welche hin und wider von den Bauren zu Todt geschlagen worden. Dieweilen dann solches auch albereit von zwen Bauren an mir hatt wöllen verübt werden, hat der eine Baur (ohne Zweifel auf Schickung Gottes) ein Bedauern über mich gehabt und den Anderen (wiewohl schwehrlich) auch bewegt, daß sie mit dem Beding mir das Leben geschenckt, daß ich wider zurück und nimmer dem Volck nachziehen solle; und haben mir darauff Instruction gegeben, wo aus und an ich solle, daß ich wider in mein Land kommen könne. Bin darauff hin und her im Land herumb gezogen, bis ich endlich in Cöllen kommen, und vil Elendt ausgestanden, wie dann auch im Kriegswesen vil Leib und Lebensg’fahren, in Schlachten, Parteyen, Hunger, Durst, Hiz und Kälten, welche alle zu beschreiben mir selbsten zu verdrüßlich ist.
Von Cöllen nun bin ich den Rhein nach hinauff in die Pfalz, und dann endlich wiederumb ins Schwabenland zu meinen Vetteren (meiner Muetter Brueder, weltlichen Priester und Chorherren zu Birlingen), ankommen, nachdem vierthalben Jhar lang Niemand gewußt, wohin ich kommen, oder ob ich noch im Leben seye oder nit. In disem nun ankommen, sandt ich mein Muetter und alle Gschwisterte, welche alle aus dem Elsaß dahin gezogen und der Vater allein im Elsaß bei etliche Doctoren als ihr Agent Bäpstlicher und Kaiserlicher Notarius gebliben.
Bald nach meiner Ankunfft that mich meine Mutter zu einem weltlichen Priester, der mich widerumb vom A. B. C. an unterweisen mußte, welches dann ein halb Jahr gewehrt; darauf schickte sie mich nachher Ensisheim ins Elsaß zum Vatter, der mich zu den Jesuiteren in die Rudiment Schul gethan. Und da ich ungefehr anderthalb Jhar daselbsten, und schon in der Grammatik gewesen, ist er mit mir von dannen hinweg, und gen Margraffschaft Baden gezogen, allwo er Stattprocurator, ich aber bey den Jesuiteren etwas mehreres als ein halb Jhar in die Schul gangen.
Nach solchem begab ich mich unwissendt des Vatters ins Breysgaw in das Closter Thennenbach, Cisterziender Ordens, hielt um den Orden an, und erlangte die Auffnamb durch etlicher mir bekandter Herren Fürbitt. So geschehen a. 1629 umb S. Gallen.
Dis nun ist auffs kürzest der Verlauff meiner weltlichen Jugent; nun will ich zum geistlichen Standt schreitten und etwas Ausführlicheres handlen, was sich mit mir verloffen wehrendt meinem Leben de a. 1629 bis anjezo (Anm. Nämlich bis zum J. 1674, in welchem Burger, nach der späteren Bemerkung (s. Capitel 1 und 16), dieses Itinerarium schrieb).